Wenn Wissen mal keine Macht ist!

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Demnächst können alle berufstätigen Frauen, die in Betrieben mit mehr als 200 Arbeitnehmern arbeiten, wissen, ob sie im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen ungerecht bezahlt werden. Sollen wir das feiern?

Ich sag es lieber gleich am Anfang des Textes, damit Sie selbst entscheiden können, ob Sie weiterlesen möchten: Bei mir bleibt die Sektflasche im Kühlschrank! Das neue Gesetz zur Lohngleichheit von Männern und Frauen entlockt mir keine Begeisterungsrufe.

Haben Sie sich schon überlegt, ob und wann Sie zu ihrem Chef gehen und sich zeigen lassen, was ihr Kollege verdient? Rechtlich haben Sie demnächst einen Anspruch auf Auskunft ihres Chefs auf diese Frage. Es sei denn, die Arztpraxis, Kita oder der Einzelhandel-Laden, in dem Sie an vier Tagen der Woche Teilzeit arbeiten, beschäftigt nur Frauen oder insgesamt weniger als 200 Mitarbeiter.
Selbst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, machen Sie sich sicherlich bei ihrem Chef äußerst beliebt, wenn Sie – gegebenenfalls gerichtlich – durchsetzen, dass er offenlegen muss, wieviel mehr Wert ihm die vergleichbare Arbeit eines Mannes in barer Münze ist. Wie das kommende Gesetz im Einzelnen mit Datenschutzbestimmungen sowohl zu ihrem eigenen Schutz, als auch zum Schutz der Daten vergleichbarer männlicher Kollegen umgeht und welche konkreten Sanktionen an einen Verstoß geknüpft werden sollen, bleibt bisher ebenso im Dunkeln wie die Frage, was Sie mit ihrem frisch erworbenen Wissen anfangen sollen.

Nehmen wir an, Ihr Arbeitgeber gewährt Ihnen im Rahmen des gesetzlichen Auskunftsanspruchs Einblick in das innerbetriebliche Lohngefüge, einschließlich zusätzlicher Begünstigungen wie Boni und Firmenwagen und liefert Ihnen damit die Beweise für geschlechterspezifische Lohnungleichbehandlung. Was glaubt Frau Schwesig, wird Ihr Arbeitgeber dann tun? Ihnen mit schamesrotem Gesicht sofort eine Gehaltserhöhung anbieten?
Möglich ist ja alles in dieser Welt, wahrscheinlicher hingegen ist, dass Ihr Chef Ihnen wortreich erklärt, dass Ihr Kollege eine längere Berufserfahrung und außerdem Zusatzqualifikationen hat, die die unterschiedliche Bezahlung rechtfertigen. Und jetzt? „Wie komme ich denn jetzt an dasselbe Gehalt wie mein Kollege“, werden Sie sich fragen.
Das neue Gesetz lässt sie insoweit allerdings sprichwörtlich „im Regen stehen“. Es enthält nur einen Auskunfts- und keinen Zahlungsanspruch. Schnell wird sich herausstellen, dass Wissen nicht Macht ist, sondern gelegentlich nur die Kenntnis der (eigenen) Machtlosigkeit.

Spätestens jetzt keimt die Wutbürgerin in Ihnen auf. Sie fangen an, Google zu befragen und finden Begriffe wie „AGG“ und „Equal Pay“. Letzteres ist zwar die korrekte englische Übersetzung für gleichen Lohn, steht in unserer Rechtsordnung allerdings für die gleiche Bezahlung zwischen Leiharbeitnehmern und Festangestellten. Das AGG ist da dann schon der einschlägigere Begriff, gibt dem Betroffenen allerdings nur einen Entschädigungsanspruch in Höhe von insgesamt drei Bruttomonatsgehältern und damit sind Sie von dauerhaft gleicher Bezahlung im Vergleich zu Ihrem männlichen Kollegen immer noch weit entfernt.

Was kann uns Frauen das neue Gesetz zur Lohngleichheit, falls es kommen sollte, also bringen? Hoffentlich in Zukunft mehr Mut bei den Gehaltsverhandlungen.
Denn letztlich müssen wir uns eigentlich fragen, wie es überhaupt dazu kommt (kommen konnte), dass Frauen im 21. Jahrhundert in Deutschland durchschnittlich deutlich weniger verdienen als Männer. Vermutlich sind wir daran selbst nicht ganz unschuldig.
Möglicherweise schätzen wir den Wert unserer Leistung geringer ein als unsere männlichen Kollegen und steigen mit geringeren Gehaltsforderungen in die Vertragsverhandlungen ein oder glauben, dass wir für unsere Leistung weniger verlangen können, weil wir neben dem Job auch noch Haushalt und Kinder versorgen und deshalb weniger Zeit in den Job investieren als Männer?
Teilweise sind wir dankbar, überhaupt einen Job zu bekommen, wohingegen ein männlicher Kollege vielleicht denkt, der Chef müsse dankbar sein, wenn er ihn als Mitarbeiter gewinnen könne – Will sagen, möglicherweise verkaufen wir uns unbewusst unter Wert.
Ob uns das neue Gesetz einen Ausweg aus dieser Situation bietet, ist zumindest zweifelhaft.

Vermutlich müssen wir uns daraus selbst befreien durch ein anderes Selbstwertgefühl und Selbstverständnis jenseits gesetzlicher Regelungen – frei nach dem Motto: „Mut ist Macht“.

Pia-Alexandra Kappus