Haben Sie das schon einmal beobachtet? Sie sich anlässlich eines Geschäftsessens im Kreis männlicher Kollegen an den Tisch. Binnen kürzester Zeit liegen die Handys auf dem Tisch, meist neben dem Wein- oder Wasserglas, jedenfalls aber stets griffbereit. Mich erinnert das immer an alte Westernfilme, in denen die Protagonisten ihre Waffen auf den Tisch leg(t)en. Diese Assoziation weiter zu denken macht auch deshalb Spaß, weil es, wenn ich mich recht erinnere, im damaligen „Wilden Westen“ auch Gegenden gegeben haben soll, in denen „Mann“ nur in den Saloon durfte, wenn er zuvor seinen Colt am Eingang abgegeben hatte. Was würde wohl geschehen, wenn der Kellner ihres Lieblingslokals sie und ihre Begleiter erst an den Tisch führen würde, nachdem sie alle ihre Handys in die Verwahrung des Kellners gegeben haben? Vermutlich müssten sie sich bald ein neues Lieblingslokal suchen, weil das alte leider Pleite gegangen ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich heutzutage jemand sein Handy abnehmen ließe, auch nicht bei sicher gestellter „Entwaffnungsgleichheit“ aller Beteiligter. Ständige Erreichbarkeit scheint zum Lebenselixier des 20. Jahrhunderts geworden sein. Wir haben offenbar Angst, irgendetwas (existentiell?) Wichtiges zu verpassen, wenn wir nicht ständig „online“ sind.
Bezeichnenderweise drehte sich das Gespräch bei einem meiner letzten Businessessen allerdings vornehmlich darum, dass meine männlichen Begleiter sich von dem Druck ständiger Erreichbarkeit am Arbeitsplatz genervt fühlten und sich massiv darüber beschwerten. Das ging so weit, dass einer der Anwesenden beteuerte, die Erwartungshaltung seines Chefs, ihn stets per Handy erreichen zu können, mache ihn krank. Dabei ruhte seine Hand entspannt auf der Lederaußenhülle seines neuen iPhone 6. „Du bist doch Arbeitsrechtlerin“, wandte er sich an mich, „darf mein Chef das eigentlich von mir verlangen, diese Dauererreichbarkeit?“ In Situationen wie dieser bietet sich der Standardspruch des Juristen an: „Das kommt darauf an“. Nach einer längeren Diskussion darüber, worauf es denn im Einzelnen dabei ankomme, und meinen Hinweisen auf Arbeitgeberinitiativen bei großen Autoherstellern und anderen großen Firmen durch Abschalten der Server außerhalb vorbestimmter Arbeitszeitkorridore etc, habe ich meinen Lunchbegleiter gefragt, ob er denn bereit sei, sein Handy während der Mittagspause vor Betreten des Lokales abzugeben. Er konnte sich wohl gerade aus Höflichkeit noch enthalten „Spinnst du?“ zu sagen. Sein Gesichtsausdruck ließ aber auf ähnliche Gedankengänge schließen. „Keinesfalls“, antwortete er schließlich. Nachdem er offenbar aus meinem Gesichtsausdruck erkannte, dass ich dachte, „na bitte, was beschwerst Du Dich dann?“, schränkte er ein: er wäre wohl bereit, sein Arbeitshandy für die Mittagspause abzugeben, keinesfalls aber das private. Erst da fiel mir auf, dass die meisten meiner Lunchpartner zwei Handys neben sich liegen hatten. Das Erstaunliche war allerdings, dass es während der gesamten Mittagspause ruhig und friedlich blieb, kein Brummen oder Klingeln unterbrach die angeregten Diskussionen. Zumindest an diesem Mittag hätte es keinen Unterschied gemacht, wenn wir alle die Handys beim Kellner abgegeben hätten. Fast nicht jedenfalls. Denn während der Kellner mühsam die Rechnungsbeträge für jeden von uns Einzeln auseinanderdividierte, brummte dann doch noch ein Handy. Eine sms war angekommen. Die Tatsache, dass der Adressat sein Handy umdrehen musste, um nachzusehen, wer da was von ihm wollte , veranlasste mich zu der Frage, die mich immer schon einmal interessierte. „Warum legt Ihr Eure Handys eigentlich immer mit der Bildschirmseite nach unten auf den Tisch?“ Bisher hatte ich gemutmaßt, „ Mann“ wolle zeigen, dass es sich um ein Applegerät handele und welche Variante dessen bzw. welche MB-Größe man sich hatte leisten können. Jetzt erhielt ich allerdings eine für mich absolut überraschende Antwort, und zwar von allen Kollegen praktisch zeitgleich und arglos freimütig. „Du weißt doch, dass sms oder mms immer automatisch aufploppen, so dass man das sehen kann und da sind auch manchmal nicht so ganz jugendfreie Sachen dabei.“ Ich war völlig verblüfft, wobei ich im Nachhinein nicht zu sagen vermag, ob mich die Tatsache als solche mehr verblüffte oder der Umstand, dass ich nie im Leben auf eine solche Ursache/Erklärung gekommen wäre.
Hätten Sie’s denn gewusst?
Pia-Alexandra Kappus