Nein heißt Nein – Empören wir uns
Auf den ersten Blick scheint die vom Deutschen Bundestag beschlossene Verschärfung des deutschen Sexualstrafrechts nichts mit dem Thema dieses Blogs „Die Arbeitswelt von Frauen“ zu tun zu haben. Doch das täuscht. Nach einer Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes soll jeder zweiten Frau schon einmal sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz widerfahren sein: Das fängt bei anzüglichen Bemerkungen über die Figur oder den kurzen Rock einer Kollegin an und geht über Po- oder Busengrabschen bis hin zu weit schwerwiegenderen Angriffen, teilweise in alkoholisiertem Zustand auf einer Betriebs- oder Weihnachtsfeier. Bisher sprach der Volksmund über solche Taten gern einmal und bezeichnenderweise von „Kavaliersdelikten“.
Fakt ist, dass am Arbeitsplatz immer noch, häufig seitens der männlichen Belegschaft, anzügliche Bemerkungen und Herrenwitze über weibliche Kolleginnen verharmlost werden nach dem Motto, „ein bisschen Spaß müsse jeder vertragen“. Als Spaß wird dann beispielsweise auch Frage an die Mitarbeiterin abgetan ob sie heute so schlechte Laune habe weil der Sex in der Nacht schlecht gewesen sei. Auch die Frage danach ob die Kollegin ihren BH vergessen habe oder gar der Griff an den über dem Hosenbund sichtbaren String soll alles noch unter Begriff Spaß fallen. Besonders fatal ist dabei, dass viele Männer dem Irrglauben unterliegen, Frauen meinten in der Regel gar nicht, was sie sagen, und deshalb sei ein „Nein“ in der Regel auch gar kein „Nein“, sondern eher ein „Jaein“. Das war schon immer falsch und es ist traurig, dass es tatsächlich einer Gesetzesänderung bedurfte, um eine so simple Tatsache klarzustellen. Wobei das mit dem Klarstellen die eigentliche Frage sein wird. Bringt die Gesetzesänderung wirklich mehr Klarheit und wirklich eine Verbesserung für uns Frauen in allen Lebensbereichen, also bei häuslichen Gewaltübergriffen wie auch bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz oder wo auch immer? Und welche Unklarheiten und Unsicherheiten ergeben sich in Zukunft für Männer?
Letztlich geht es im Problemfeld sexueller Übergriffe meist um Fragen von Dominanz und Machtverhältnisse, wobei damit keineswegs nur simple körperliche Überlegenheit von Männern gegenüber Frauen gemeint ist. Vor allem am Arbeitsplatz geht es auch um soziale und faktische Abhängigkeiten zwischen Chefs und Mitarbeiterinnen. Wer Angst um seinen Job haben muss, wenn er sich gegen sexuelle Übergriffe seines Chefs wehrt, wird sein „Nein“ möglicherweise gar nicht laut genug ausdrücken, um sich damit bemerkbar zu machen. Bisher war genau die ausdrückliche Willensbekundung durch das Opfer aber Voraussetzung für die Strafbarkeit im Fall einer Vergewaltigung. Das Opfer musste nachweisen, dass es sich gewehrt hatte. Ein schlichtes „Nein“ reichte in vielen Fällen nach Ansicht der (männlichen wie weiblichen) Richter nicht aus, was zuletzt medienwirksam im Fall Gina Lisa Lohfink zu Tage getreten ist. Eine sexuelle Handlung wird jetzt auch dann als Vergewaltigung gewertet, wenn sich der Täter „über den erkennbaren Willen des Opfers „hinwegsetzt“. Hört sich gut an, wird aber in der praktischen Anwendung durch die Gerichte zu großen Problemen für beide Seiten führen: Wer soll im Nachhinein beurteilen, was der Täter als Wille der Frau erkannt hat oder hätte erkennen müssen? Wenn allein die Beteuerung der betroffenen Frau ausreichen soll, dass ihr entgegenstehender Wille klar und offen zu Tage getreten sei und sie ihn deshalb nicht ausdrücklich hätte äußern müssen, kann das zu einer bedenklichen Umkehr der Machtverhältnisse führen. Frauen würden eine Deutungshoheit über Situationen gewinnen, durch die der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ ins Schwanken geraten könnte. Männer werden der Unsicherheit ausgesetzt, dass ein aus ihrer Sicht einvernehmlicher heißer Flirt gegebenenfalls im Nachhinein als sexuellen Belästigung oder gar Vergewaltigung interpretiert wird. Kann das die Lösung für uns Frauen sein? Nein – heißt Nein.
Die wirkliche Lösung des Problems liegt nicht in einer gesetzlichen Verschärfung der bisherigen Rechtslage, sondern in einem gesellschaftlichen Umdenken in definitiv mehr Zivilcourage. Statt sich hinter immer neuen Gesetzen zu verstecken, müssen wir uns von unserer Kultur des Wegsehens verabschieden. Wie oft hat jeder von uns schon geschwiegen, obwohl er die anzüglichen Bemerkungen eines männlichen Kollegen gegenüber einer Kollegin als übergriffig empfunden hat? Sei es, dass man nicht als prüde oder verklemmt gelten will, sei es aus Angst um den eigenen Arbeitsplatz. Es fällt leicht, sich bei sexistischen Bemerkungen unter Kollegen einzureden, dass es so schlimm ja nicht sei, Nichts als Gerede alter Männer. Aber genau das ist der falsche Weg. „Nein heißt Nein“ bedeutet nichts anderes als Null-Toleranz gegenüber jedweden sexistischen Äußerungen und Handlungen gegenüber Frauen, durch die Frauen letztlich zum Objekt degradiert werden. Der Rechtfertigungsstrategie vieler Männer, wonach wir Frauen uns doch letztlich geschmeichelt fühlen sollten, kann durch klar artikulierte Empörung in der konkreten Situation sehr viel effektiver begegnet werden als durch neue Gesetze.
Der französische Widerstandskämpfer und UN-Diplomat Stephane Hessel hat im Oktober 2011 eine Streitschrift verfasst mit dem Titel „Empört euch“. Gemeint war damit die Jugend von heute, im Sinn eines grundsätzlichen politischen Aufbegehrens. Für uns Frauen sollte dieser Aufruf gleichermaßen gelten. „Empören wir uns“ und machen dies sofort in der konkreten Situation deutlich. Das Wegschauen und Totschweigen im Alltag sollte ein Ende haben, weil wir alle das schon viel zu lang machen. Der „Hashtag Aufschrei“, der im Zusammenhang mit der Sexismus-Affäre um das FDP Urgestein Rainer Brüderle entstand, brachte zu Tage, wie viele Frauen sich vor allem auch in ihrem Arbeitsumfeld nahezu täglich sexuell belästigt fühlen. Wie lang von einem sozialen Umfeld, und zwar von Frauen wie Männern, völlig indiskutable männliche Verhaltensweisen akzeptiert werden, zeigt auch der jüngste Sexismus-Skandal in Frankreich um den ehemaligen Vizepräsidenten der französischen Nationalversammlung, Denis Baupin. Im Mai 2016 hatten mehrere Mitarbeiterinnen Vorwürfe wegen sexueller Belästigung gegen den französischen Politiker erhoben. In der Folge der Affäre war Baupin letztlich von seinem Amt zurückgetreten. Zuvor hatte es in Frankreich ähnliche Skandale um das Verhalten französischer Politiker wie Dominique Strauss-Kahn oder den Finanzminister Michel Sapin gegeben. Im Mai 2016 hatten sich dann 17 französische Politikerinnen öffentlich zur Wort gemeldet, darunter auch die heutige IWF-Chefin Christine Lagarde und von jahrelangen Demütigungen durch das Verhalten männlicher Kollegen berichtet. Ähnliche Berichte gibt es von italienischen Politikerinnen. Dass insbesondere im täglichen Arbeitsumfeld zahlreiche Männer ihre Kolleginnen eher als hübsches Beiwerk ansehen, statt als ebenbürtige Mitstreiterinnen, ist kein auf Deutschland beschränktes Problem, sondern ein gesamtgesellschaftliches, welches über Länder- und Kulturgrenzen hinweg besteht.
Ob die neuen deutschen strafrechtlichen Regelungen die Lage der Frauen in Deutschland verbessern werden, wird sich noch zeigen müssen. Sicher dürfte sein, dass neue Gesetze allein ein dringend notwendiges Umdenken in der Gesellschaft nicht bewirken werden. Das können wir nur selbst erreichen – durch mehr Zivilcourage und ein mutiges offenes Eintreten für die betroffenen Kolleginnen am Arbeitsplatz. Ein Appell, der sich selbstverständlich nicht nur an uns Frauen selbst richtet, sondern auch an die große Zahl Männer, die sexistische Sprüche und Verhaltensweisen ihrer männlichen Kollegen ebenfalls beklagenswert findet. Auch von ihnen sind klare Statements am Arbeitsplatz gefragt, denn wie so oft sind es ja nur wenige schwarze Schafe, die den größten Schaden anrichten. Der Großteil der Männer begegnet auch am Arbeitsplatz den weiblichen Kolleginnen mit dem nötigen Respekt und weiß auch ohne gesetzliche Regelung, dass Nein – Nein heißt.
Diskutieren Sie mit uns. Halten Sie die neuen Gesetze für notwendig und richtig und wenn ja warum ? Haben Sie selbst schon Belästigungen am Arbeitsplatz erlebt?
Pia Alexandra Kappus